Im Mai 1952 errichtete das SED-Regime die innerdeutsche Grenze, begleitet von Zwangsaussiedlungen im Sperrgebiet. Über 11.000 Menschen wurden ins Landesinnere umgesiedelt, um die Grenze zu sichern. Viele zurückgelassene Häuser verfielen, da sie als Fluchthindernis galten. Erst nach 1989 konnten die Betroffenen zurückkehren, oft nur zu Ruinen.
Das SED-Regime begann im Mai 1952 damit, eine fast 1400 Kilometer lange Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zu errichten. Dazu gehörte auch die Errichtung eines Sperrgebietes entlang der innerdeutschen Grenze. Plötzlich war es von zentraler Bedeutung, wer so nah an der Grenze lebte. Der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) unliebsame Bürgerinnen und Bürger wurden daher zwangsausgesiedelt. Tausende Bewohner des Grenzgebietes zu Westdeutschland wurden gezwungen, ins Landesinnere umzuziehen.1
Daten und Zahlen
Neben den zwei großen Vertreibungsaktionen in der DDR im Mai und Juni 1952 sowie am 3. Oktober 1961, gab es bis Mitte der 1980er Jahre auch willkürliche Einzelaussiedlungen. Es wurden 1952 und 1961 11.506 Personen aus dem Grenzgebiet der DDR ins Landesinnere zwangsausgesiedelt. Fast die Hälfte davon, 5.245 Personen, kamen aus Thüringen. Man kann von einer höheren Dunkelziffer ausgehen, zumal die sporadischen Aussiedlungen meistens mit einem Redeverbot der Betroffenen einhergingen. Was allerdings belegt werden kann, sind die höheren Aussiedlungszahlen im Vorfeld der Aktionen. Die Aussagen der Zeitzeugeninterviews lassen zumindest vermuten, dass trotz des konspirativen behördlichen Vorgehens, Informationen an die Bevölkerung durchsickerten und es zu vorzeitigen Fluchten kam. Dies war möglich, obwohl die angeforderten Helfer aus Verwaltung, Partei, Polizei und anderen Institutionen selbst erst kurz vorher über die Aussiedlungen informiert wurden.
Zwangsaussiedlungen als Grenzsicherungsmaßnahme
Die Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes Anfang der 50er Jahre führte letztlich dazu, dass die DDR-Regierung (auf Geheiß der sowjetischen Führung unter dem Diktator Josef Stalin) durch zwei Verordnungen die innerdeutsche Grenze abriegeln ließ. Die Regierungsverordnung vom 26. Mai 1952 legt fest, dass das Ministerium für Staatssicherheit Maßnahmen zur Sicherung an der Demarkationslinie zwischen DDR und den westlichen Besatzungszonen ergreifen musste. Die am gleichen Tag veröffentlichte Polizeiverordnung sah ein dreifaches Sicherungssystem vor: ein zehn Meter breiter Kontrollstreifen unmittelbar an der Grenzlinie, ein daran anschließender 500-Meter-Schutzstreifen und eine 5-Kilometer-Sperrzone.
Wer wurde ausgesiedelt?
Auf Basis der Registrierungen aller Bewohner der 5-Kilometer-Sperrzone durch die Volkspolizei wurden Aussiedlungslisten in Kommissionen erstellt. An diesem Vorgang waren mehrere Stellen beteiligt: Teile des MFS, Grenzpolizisten, SED-Funktionäre und lokale Verwaltungen.
Eine Direktive des damaligen Volkspolizei-Chefs Karl Maron benannte den Personenkreis der aus dem Sperrgebiet auszusiedeln war:
- „Ausländer und Staatenlose,
- Personen, die nicht polizeilich gemeldet sind,
- Personen, die kriminelle Handlungen begangen haben und bei denen zu vermuten ist, daß sie erneut straffällig werden,
- Personen, die im Wege ihrer Stellung in und zu der Gesellschaft eine Gefährdung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung darstellen. Besitzen die unter 1a – d angeführten Personen Familienangehörige, mit denen sie in enger Gemeinschaft leben oder die aufeinander angewiesen sind, so hat deren Ausweisung gleichfalls zu erfolgen.”
Ablauf der Aussiedlung und neuer Wohnort
Die Aussiedlungsaktionen liefen in der Regel früh am Morgen ab und trugen Decknamen wie „Aktion Ungeziefer“ oder „Aktion Kornblume“. Volkspolizei und SED-Agitatoren überraschten die Betroffenen und eröffneten ihnen, dass sie und ihre Familie sowie ihre persönlichen Habseligkeiten und Möbel (keine Betriebsgegenstände wie Vieh, Maschinen etc.) ausgesiedelt würden. Sie wurden zur Abgabe des Personalausweises und zur Unterschrift einer Freiwilligkeitserklärung verpflichtet.
Die Helfer registrierten den Besitz und verluden die Habseligkeiten. Im neuen Heimatkreis fanden die Betroffenen oftmals eine schlechtere Wohnsituation vor. Auch der Aufbau neuer nachbarschaftlicher Beziehungen wurde durch die Propaganda der SED erschwert: Es wurden beispielsweise Gerüchte über eine kriminelle oder ‚asoziale‘ Lebensweise gestreut. Vor allem die Kinder der Betroffenen erzählen von Ausgrenzung und Schikanen in ihrer Schulzeit.
Zahlreiche Umgesiedelte stellten unmittelbar nach der Aussiedlungsaktion beim Rat des Kreises vergeblich Anträge auf Rücksiedlung. Sie hatten die Hoffnung, dass es sich nur um eine vorübergehende Maßnahme handelte. Aber ein Besuch des Sperrgebietes bzw. des ehemaligen Wohnortes war erst nach 1989 wieder möglich.
Folgen: Geschleifte Höfe und Orte in den Sperrgebieten
Durch die Enteignungen der Betriebe und Häuser mussten vor Ort Treuhänder eingesetzt werden. Die verbliebenen Bewohner mussten Feldarbeiten, die Versorgung der zurückgelassenen Nutztiere gewährleisten sowie die Höfe und Häuser verwalten. Viele der Betroffenen konnten erst ab dem Herbst 1989 in ihre alte Heimat zurückkehren. Viele Höfe waren in der Zwischenzeit allerdings „geschliffen“ worden, also verfallen, abgerissen oder abgebrannt. Gebäude und manchmal ganze Dörfer wurden zu Störfaktoren, da sie zu nahe an der Grenze standen: Sie konnten als Versteck bei Fluchten dienen und ein freies Schussfeld der Grenzer verhindern. Das Bild der geschleiften Höfe prägte maßgeblich die Orte des Sperrgebietes.
- Synonyme Begriffe sind Umsiedlung oder Zwangsumsiedlung, sowie Vertreibung (Überbegriff) und Evakuierung (Bezeichnung durch die DDR-Behörden). In einem breiteren Kontext spricht man in der Wissenschaft von Zwangsmigration (forced migration). ↩︎